DER SCHADENSERSATZANSPRUCH DER KRANKENKASSEN GEGEN DEN GESCHÄFTSFÜHRER
In nahezu jedem Insolvenzverfahren nehmen die Krankenkassen den ehemaligen Geschäftsführer in die Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a StGB. „Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen“ als Pflichtverletzung. Wie verteidigen Sie sich als Geschäftsführer gegen den Haftungstatbestand?
IM EINZELNEN:
A. Der Schadensersatzanspruch der Krankenkassen gegen den Geschäftsführer im Sinne der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB im Überblick
Die Sozialversicherungsträger stützen Ihre Schadensersatzansprüche gegen die Organe der insolventen Gesellschaft auf die Vorschriften der §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a StGB.
Insbesondere dann, wenn der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren – auch zu spät – gezahlte Sozialversicherungsbeiträge im Sinne der §§ 129 ff. InsO über die Insolvenzanfechtung zur Insolvenzmasse zieht.
In den meisten Fällen wurden die Sozialversicherungsbeiträge nicht fristgerecht oder nachträglich im Wege von A-Konto-Zahlungen geleistet.
In Bezugnahme auf die etwaigen Haftungstatbestände gegenüber den verantwortlichen Geschäftsführern sind die Krankenkassen stets der Rechtsauffassung, dass auch nachträglich geleistete Zahlungen durch den ehemaligen Geschäftsführer den Haftungstatbestand der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB nicht entfallen lassen.
B. Die Voraussetzung der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB? Ein Schaden der Sozialversicherungsträger!
Um einen Schadensersatzanspruch nach §§ 823 Abs. 2, 266a StGB durchfechten zu können, müssen die Sozialversicherungsträger stets einen kausalen Schaden Ihrerseits nachweisen.
Trotz der neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2010, Az.: IX ZR 247-09) sind die meisten der in Anspruch genommenen Geschäftsführer nicht in der Lage, das Entfallen eines ersatzfähigen Schadens der Sozialversicherungsträger nachzuweisen.
Ein ersatzfähiger Schaden ist jedoch Voraussetzung für die Haftung aus den §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a StGB.
Die Lösung? – Die hypothetische Möglichkeit der Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter im Sinne der §§ 129 ff., 143 InsO
Unser Leitsatz:
Kann der Insolvenzverwalter die Zahlungen an die Sozialkasse bei rechtzeitiger Abführung nach der Insolvenzordnung (InsO) anfechten, so würde mangels Kausalität ein jeweiliger Schaden (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 14.11.2000 – VI ZR 149/99, DB 2001 S. 526) auf Seiten der Sozialversicherungsträger entfallen.
C. Der Nachweis des fehlenden kausalen Schadens auf Seiten der Sozialversicherungsträger
Als in Anspruch genommener Geschäftsführer eines insolventen Unternehmens muss es Ihnen gelingen eine hypothetische Anfechtbarkeit der hypothetisch gezahlten Beiträge zur Sozialkasse nach den Vorschriften der §§ 129 ff. InsO nachzuweisen.
Im Einzelnen:
I. Vorrang der Beitragsansprüche
1. Fehlender Schaden im Sinne der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB
Keine Ersatzpflicht im Rahmen der § 823 Abs. 2 BGB, 266a StGB treffen den Geschäftsführer (bzw. dessen Rechtsnachfolger) mangels Schaden dann, wenn die Zahlung der Arbeitnehmerteile an den Sozialversicherungsträger, wenn diese denn fristgerecht gezahlt worden wären, durch den Insolvenzverwalter im Sinne der §§ 129 ff. InsO hätten angefochten werden können.
Sodann fehlt die Kausalität des Vorenthaltens für einen Schaden (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 02.12.2010, IX ZR 247-09; BGH, Urteil vom 18.04.2005, II ZR 61/03, GmbHR 2005, S. 874ff.); BGH, ZIP 2001, 80, GmbHR 2001, 147, NJW 2001, 967, BHG, ZIP 2001, 2235, NJW 2002, 512).
2. Anfechtbarkeit der Zahlungen gem. §§ 129 ff., 143 InsO
Hypothetisch wäre daher zu prüfen, ob die von den Sozialversicherungsträgern geltend gemachten Beiträge zur Sozialversicherung bei rechtzeitiger Abführung im späteren Insolvenzverfahren hätten angefochten werden können.
Vorliegend beschäftigen wir uns hauptsächlich mit der Anfechtung der hypothetisch gezahlten Sozialversicherungsbeiträge nach den Vorschriften der §§ 129, 133, 143 InsO.
Warum § 133 InsO? Ganz einfach. In aller Regel werden Sozialversicherungsbeiträge nachträglich bedient, die bereits außerhalb des Drei-Monatszeitraums vor Insolvenzantragstellung regulär fällig gewesen wären.
Nimmt man bei einer hypothetischen Anfechtbarkeit den Fälligkeitstag als Ausgangspunkt, so liegt dieser in 90 % der Fälle außerhalb des Drei-Monatszeitraums (vor Insolvenzantragstellung) und wäre daher – auch hypothetisch – nur nach den Vorschriften der §§ 129, 133, 143 InsO anfechtbar.
Es liegt auf der Hand und ist wohl den meisten Praktikern bewusst, dass der Nachweis eines Anfechtungstatbestandes nach § 133 InsO den wohl schwierigsten Sachverhalt der Insolvenzanfechtung darstellt.
3. Der Anfechtungstatbestand der §§ 129, 133, 143 InsO im Einzelnen
„nach § 133 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte.“
„diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.„
Die Zahlungen an die Sozialversicherungsträger werden in aller Regel über Überweisungen und Lastschrifteinzüge getätigt. Unstreitig werden diese als Rechtshandlungen im Sinne des § 133 Abs.1 S.1 InsO erachtet.
Für das Vorliegen der Gläubigerbenachteiligungsabsicht der Insolvenzschuldnerin würde gelten, dass diese bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit vermutet würde (vgl. auch BGH, Urteil vom 08.12.2005 – IX ZR 182/01, BGH, Urteil vom 10.02.2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143, 153; BGHZ 155,75; BGHZ 162,143).
Hierbei wäre nun das genaue Datum der Zahlungsunfähigkeit der insolventen Gesellschaft (Insolvenzschuldnerin) zu benennen.
In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals ausführen und darauf hinweisen, dass der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Zahlungen bereits anhand der Insolvenztabelle geführt werden kann.
Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichthofs weist insbesondere im Anfechtungsprozess darauf hin, dass die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 S.1 InsO nicht nur durch Vorlage einer Liquiditätsbilanz nachgewiesen werden kann, wenn auch anderweitig festgestellt werden kann, dass der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner Verbindlichkeiten zu einem bestimmten Stichtag nicht mehr bezahlen konnte.
Ausreichend ist nach der Rechtsprechung insoweit, dass im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind. In diesem Falle ist regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt auszugehen (vgl. auch BGH, Urteil vom 12.10.2006 – IX ZR 228/03).
Der Insolvenztabelle kann entnommen werden, welche Forderungen in welcher Höhe angemeldet worden sind. Die angemeldeten Forderungen sind in aller Regel hauptsächlich auf Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung, auf Steuerverbindlichkeiten sowie auf rückständige Sozialversicherungsbeiträge zurück zu führen.
Ihre Aufgabe muss es nun sein, den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem 10 % der angemeldeten Forderungen spätestens fällig waren und auch bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht bedient worden sind.
Die Fälligkeiten müssen im „worst-case“ anhand der Forderungsanmeldung nochmals geprüft werden.
Die sodann ermittelte Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft halten wir fest. Warum? Ganz einfach, diese muss zum einen dem Geschäftsführer bekannt gewesen sein.
Insbesondere wenn Sozialversicherungsbeiträge über einen langen Zeitraum nicht mehr ordnungsgemäß abgeführt wurden und sich darüber hinaus auch Steuerverbindlichkeiten in nicht unerheblichen Umfang anhäuften, ist von einer Kenntnis auszugehen.
Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere bei Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern der Fall, da eine Nichtabführung unweigerlich zu persönlichen haftungs- und strafrechtlichen Konsequenzen führt.
Wichtig!:
War die Insolvenzschuldnerin zahlungsunfähig, dann handelt die Insolvenzschuldnerin im Ergebnis nur dann ohne Benachteiligungsvorsatz gegenüber der Gläubigergesamtheit, wenn zur Abwendung der tatsächlichen finanziellen Lage positive Elemente, wie zum Beispiel konkrete Krediterwartungen und Kreditmittel oder kurzfristige ausstehende Forderungen realisiert werden können (vgl. hierzu explizit BGH, MDR 2007, S. 1221 ff.).
Der Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin muss den Sozialversicherungsträgern auch bekannt gewesen sein.
Gemäß § 133 Abs.1 S.2 InsO wird die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes des anderen Teils bereits vermutet, wenn der Gläubiger wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte (vgl. BGHZ 155, 75 [85] = NJW 2003, 3347 = NZI 2003, 533; BGH, NJW 2006, 1348 = NZI 2006, 159 = ZIP 2006, 290 [294]).
Von einem Gläubiger der somit Umstände kennt, die zwingend auf eine mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, ist zu vermuten, dass er auch die drohende Zahlungsunfähigkeit selbst kennt (BGH, Urt. v. 24. Mai 2007 = WM 2007, 1579 Rdn. 25; v. 20. November 2008 = WM 2009, 274 Rdn. 10 m.w.N.; v. 13. August 2009 = WM 2009, 1943 Rdn. 8; BGH, Urt. v. 13.05.2004 – IX ZR 190/03; BGH, Urt. v. 17.02.2004 – IX ZR 318/01; BGH, Urt. v.17.07.2003 – IX ZR 272/02). Es genügt hierbei im Ergebnis, wenn der Anfechtungsgegner im Allgemeinen um den Benachteiligungsvorsatz gewusst hat; alle Einzelheiten braucht er hierbei nicht zu kennen (vgl. Rogge, in: Hamburger Komm. z. InsolvenzR, 2. Aufl., § 133 Rdnr. 20).
Speziell gegenüber einem institutionellen Gläubiger deutet die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die typischerweise nur dann nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden, wenn die erforderlichen Geldmittel hierfür nicht vorhanden sind, auf die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens selbst hin (vgl. hierzu BGH NJW 2009, 1202, 1204).
Die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgt im Ergebnis und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zeitraumbezogen. Als Zeitraum kommt ein Maß zwischen 4-9 Monaten in Betracht, was im Ergebnis von Gericht zu Gericht unterschiedlich erachtet wird.
Letztlich müssen die Geschäftsunterlagen begutachtet und geprüft werden. Erst ist ersichtlich, dass die Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin mit den Vertretern der Sozialkassen in ständigem Kontakt stand.
Aus dem Zahlungsverhalten der Insolvenzschuldnerin ist in aller Regel stets zu schließen, dass liquide Mittel zur Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge nicht vorlagen.
Als Indizien können herangezogen werden:
- Ratenzahlungen,
- Mahnungen,
- Vollstreckungen,
- Stundungsabreden,
- Mitteilungen der Insolvenzschuldnerin Beiträge nicht ordnungsgemäß zahlen zu können,
- AKonto-Zahlungen.
Liegen alle Voraussetzungen einer Anfechtbarkeit im Sinne der §§ 129, 133, 143 InsO vor, so würde ein kausaler Schaden im Sinne der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB nicht vorliegen.
4. Verschulden im Sinne der §§ 823 Abs. 2, 266 a StGB
Hinsichtlich des Nachweises eines Verschuldens im Sinne der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB sind die Sozialversicherungsträger grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig. Dem Geschäftsführer obliegt lediglich eine sekundäre Beweislast.
5. Fazit:
Einen Haftungstatbestand der Sozialversicherungsträger im Sinne der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB abzuwehren stellt einen erhöhten Arbeitsaufwand dar.
Darüber hinaus sind Kenntnisse im Insolvenzanfechtungsrecht unumgänglich.
Lassen Sie sich bei Inanspruchnahme aus den Vorschriften der §§ 823 Abs. 2, 266a StGB anwaltlich beraten, um Ihre Existenz letztlich nicht zu gefährden und ein mögliches Privatinsolvenzverfahren zu vermeiden.